Arzneimittelallergie: Risiken und Nebenwirkungen

Der Husten hatte sich hartnäckig festgesetzt. „Akute Bronchitis“ lautete die Diagnose des Kinderarztes: „Schonen, heißen Tee und zweimal täglich Hustensaft – damit sollten wir in vier bis fünf Tagen die Bronchitis in den Griff bekommen.“ Dass für seine Patientin die verordnete Standardmedikation ungeeignet sein würde, konnte der Arzt zu diesem Zeitpunkt nicht ahnen. Doch wenige Stunden nach der ersten Einnahme des Hustenmittels zeigte sich ein heftiger, stark juckender Hautausschlag am ganzen Körper.

Allergie gegen Medikamente

Die 6-Jährige hatte auf das Medikament allergisch reagiert, eine Nebenwirkung, die auf dem Beipackzettel als „sehr selten“ aufgeführt wird. Bezüglich unerwünschter Arzneimittelreaktionen bedeutet „sehr selten“, dass statistisch gesehen das Risiko für solch eine Reaktion bei weniger als 1 zu 10 000 liegt. Ein schwacher Trost für die betroffene kleine Patientin. Der Arzt setzte sofort das Medikament ab. Um die Reaktion zu kontrollieren und um bei einer Verschlechterung des Allgemeinzustands schnellstmöglich behandeln zu können, veranlasste er außerdem, dass die Patientin über Nacht unter ärztliche Beobachtung gestellt wurde.

So wie im beschriebenen Fall das Hustenmittel kann grundsätzlich jedes Medikament eine Allergie auslösen. Im Beipackzettel sind allergische Reaktionen zumeist bei den „seltenen“ bis „sehr seltenen“ unerwünschten Nebenwirkungen aufgeführt. Höher liegt das Allergierisiko bei einigen Antibiotika, z. B. bei Penicillinen. Hier sind mitunter allergische Reaktionen, pseudoallergische Reaktionen, Nesselausschlag und Juckreiz als „gelegentlich“ auftretende Nebenwirkungen eingeordnet. Das bedeutet, der statistische Wert liegt bei 1 zu 1 000.

Gefährdungspotenzial

Einige der häufigsten allergieauslösenden Arzneimittel

  • Antibiotika (z. B. Penicillin, Sulfonamide)
  • Schmerzmittel (nichtsteroidale Antirheumatika, z. B. Acetylsalicylsäure, Paracetamol)
  • Rheumamittel (Goldpräparate)
  • Röntgenkontrastmittel
  • Lokale Anästhetika und Narkosemittel
  • Impfstoffe
  • Antiepileptika
  • Hormone (Insulin)

Sofern bekannt ist, dass der Patient auf bestimmte Arzneimittel oder deren Bestandteile allergisch reagiert, wird der Arzt dies bei der Medikation berücksichtigen. Allerdings lässt sich nicht vorhersehen, ob das Immunsystem des Patienten durch einen früheren Kontakt sensibilisiert ist und erstmalig allergisch reagieren wird. Im Allgemeinen treten bei Kindern seltener Arzneimittelallergien auf, da die meisten von ihnen weniger medikamentöse Behandlungen hinter sich haben, durch die sie sensibilisiert sein könnten.

Hoch dosierte und langfristige Medikamenteneinnahmen erhöhen das Risiko für Sensibilisierungen. Außerdem spielt die Applikationsart eine Rolle. Lokale Anwendungen wie z. B. das Auftragen auf die Haut oder die Inhalation bergen ein höheres Allergierisiko als die orale Einnahme. Vorerkrankungen und bestehende Infektionen können ebenfalls Einfluss auf die Entwicklung einer Arzneimittelallergie haben. Patienten mit einer erblichen Veranlagung zu einer atopischen Erkrankung (allergisches Asthma bronchiale, Heuschnupfen, Neurodermitis) neigen jedoch nach derzeitigem Kenntnisstand nicht vermehrt zu Arzneimittelallergien.

Formen der Immunreaktion

Das allergene Potenzial eines Medikaments lässt sich nur durch Anwendungsbeobachtungen abschätzen. Eine allergische Reaktion kann niemals ausgeschlossen werden.

Üblicherweise werden allergische Erkrankungen in vier Reaktionstypen eingeteilt: IgE-vermittelte Reaktionen (Typ-1-Reaktion), zytotoxische Reaktionen (Typ-2-Reaktion), Immunkomplex- Reaktionen (Typ-3-Reaktion) und T-Zell-vermittelte Reaktionen (Typ- 4-Reaktion). Arzneimittelallergien lassen sich nicht eindeutig einem dieser Typen zuordnen. Auch das Ausmaß der Immunantwort ist nicht vorhersehbar, so dass die Erscheinungsbilder und die Schwere der Symptome sehr unterschiedlich ausfallen können. Bei den meisten Arzneimittelallergien treten Hautreaktionen auf. Es können aber auch andere Organe betroffen sein.

Krankheitsbilder

Hilfreich für die Diagnostik und Einschätzung des Krankheitsverlaufs ist der Zeitpunkt des Auftretens erster allergischer Symptome.

Allergische Arzneimittelreaktionen

  • Symptome der Haut und Schleimhäute: Hautrötung, Nesselsucht (Urtikaria), Juckreiz, Schwellung der Schleimhäute (Quincke-Ödem), Stevens-Johnson- Syndrom (schmerzhafte Blasen im Mund-, Rachenund Genitalbereich)
  • Weitere Symptome: Atemnot, Magen-Darm-Probleme, Fieber, Kreislaufzusammenbruch (Anaphylaxie), Gefäßentzündungen (allergische Vaskulitis)

Die Typ-1-Reaktion wird auch als Sofortreaktion bezeichnet, da sich erste Symptome innerhalb einer Stunde nach Verabreichung des Medikaments einstellen. Typische Krankheitszeichen sind Nesselsucht mit juckenden Quaddeln (Urtikaria), Schwellungen der Haut- und Schleimhaut (Ödeme), Atemnot und Magen-Darm-Probleme. Auch Allgemeinreaktionen wie z. B. Unruhe und Kopfschmerzen sowie anaphylaktische Reaktionen, die schlimmstenfalls zu bedrohlichen Kreislaufstörungen und einem Schock führen können, sind möglich. Als auslösende Medikamente für eine Sofortreaktion sind vor allem Penicillin und Kontrastmittel bekannt.

Treten erst mehrere Stunden nach Einnahme des Medikaments allergische Reaktionen auf, so handelt es sich um eine Typ-2- oder Typ-3-Reaktion, die auch als verzögerte allergische Reaktionen bezeichnet werden, oder um eine Typ-4-Reaktion, die sogenannte Spättypreaktion. Klassische Symptome einer verzögerten allergischen Reaktion sind kleine Einblutungen in Haut und Schleimhäute (Purpura), die mit Pigmentierungen, Hautrötung und Juckreiz einhergehen, sowie Gefäßerweiterungen und Gefäßentzündungen (allergische Vaskulitis). Auslöser dieser Reaktionen sind u. a. Antibiotika und nichtsteroidale Antirheumatika.

Die häufigste Form einer Arzneimittelallergie ist das Arzneimittelexanthem. Es gehört wie auch die allergische Kontaktdermatitis zu den Spättypreaktionen. Bei der Kontaktdermatitis zeigen sich die entzündlichen Hautveränderungen zumeist in Form einer deutlichen Rötung der Haut, zum Teil mit Schuppen- und Bläschenbildung. Sehr seltene und schwerwiegendere Krankheitsbilder sind blasige Ausschläge auf den Schleimhäuten (Stevens- Johnson-Syndrom) oder der Haut. Das Arzneimittelexanthem äußert sich als großflächiger, juckender Hautausschlag, mit Quaddeln, Knötchen oder auch Bläschen. Als Auslöser von Spätreaktionen sind ebenfalls Antibiotika wie Penicillin und Sulfonamide sowie Glukokortikoide bekannt – doch, dies sei noch einmal betont, jedes Medikament kann solch eine allergische Reaktion auslösen.

Pseudoallergien

Photoallergische/phototoxische Reaktion

Eine Besonderheit der Arzneimittelallergie sind photoallergische und phototoxische Reaktionen. Sie entstehen nur durch eine Wechselwirkung zwischen dem Medikament und UV-Licht. An lichtexponierten Hautarealen können dann Rötungen, Schwellungen und Bläschen auftreten.

Nicht immer verbirgt sich hinter den allergischen Symptomen eine richtige Allergie. Auf manche Substanzen, so auch auf Inhaltsstoffe von Medikamenten, reagiert der Organismus direkt ohne vorherige Sensibilisierung und Beteiligung des Immunsystems, indem er Entzündungsstoffe freisetzt. Das führt zu Symptomen, die denen einer Allergie gleichen. Aus diesem Grund spricht man auch von pseudoallergischen Reaktionen. Zu den Medikamenten, die eine Pseudoallergie auslösen können, gehören z. B. Kontrastmittel, Antibiotika und Schmerzmittel.

Diagnostik und Therapie

Ob Allergie oder Pseudoallergie – nicht immer ist es offensichtlich, dass die beschriebenen Symptome eine Reaktion auf ein bestimmtes Arzneimittel sind. Sie könnten auch Folge der Erkrankung selbst sein, die gerade therapiert wird. Nimmt der Patient mehrere Medikamente ein, so wird es sehr schwer das auslösende Arzneimittel zu identifizieren, zumal neben der eigentlichen Wirksubstanz auch die Zusatz- und Hilfsstoffe als Auslöser in Frage kommen. Zur Austestung eines Verdachts eignen sich z. B. Hauttestungen wie der Prick- oder der Intrakutantest, bei denen kleinste Mengen des verdächtigen Stoffes unter die Haut appliziert werden. Außerdem können Blutuntersuchungen zum Nachweis spezieller Antikörper und zur Messung der freigesetzten Entzündungsstoffe durchgeführt werden.

Die genauen Ergebnisse der Testungen wird man allerdings bei begründetem Verdacht auf eine Arzneimittelallergie nicht abwarten, sondern vielmehr das Medikament sofort absetzen. Abhängig vom Schweregrad der Reaktion werden zur Linderung der Symptome Antihistaminika, Glukokortikoide und Adrenalin gegeben. Letzteres vor allem dann, wenn die Reaktion nicht auf die Haut beschränkt bleibt, sondern eine anaphylaktische Reaktion mit Blutdruckabfall, Übelkeit und Atemnot aufgetreten ist.

Kam es bei den Allergietestungen zu positiven Ergebnissen, so muss die diagnostizierte Allergie bei künftigen Medikationen immer berücksichtigt werden. Patienten mit einer Arzneimittelallergie oder -pseudoallergie erhalten deshalb einen Allergiepass, in dem genau notiert ist, welches Medikament bzw. welche Stoffklasse zur Reaktion geführt hat. Der Patient sollte diesen Pass stets mit sich führen und bei jeder neuen Arzneimittelverordnung dem Arzt oder Apotheker vorlegen.

Arzneimittelallergiker sind langfristig gefährdet

  • Eine Untersuchung an der Hautklinik der Universitätsmedizin Göttingen zeigte, dass viele Arzneimittelallergiker die Risiken ihrer Allergie unterschätzen. Jeder Dritte nimmt einige Jahre nach der Diagnose wieder ein Arzneimittel mit dem Allergieauslöser ein. Die häufigsten Ursachen: Viele haben vergessen, auf welche Substanzen sie allergisch reagieren, unterrichten die behandelnden Ärzte nicht entsprechend oder nehmen Medikamente, ohne den Beipackzettel auf allergieauslösende Inhaltsstoffe zu prüfen.
  • Prof. Dr. Thomas Fuchs, Hautarzt und Allergologe an der Hautklinik Göttingen, rät Patienten dringend dazu, immer einen Allergiepass bei sich zu haben, in dem die Medikamente notiert sind, die gefährliche Unverträglichkeitsreaktionen auslösen können, und alle behandelnden Ärzte aktiv darauf hinzuweisen.
Anton Wilder