Spezifische Immuntherapie: Gewöhnung an das Allergen

Man kann sich nicht an alles, aber doch an vieles gewöhnen. Auch unser Immunsystem ist in diesem Sinne lernfähig und in der Lage, Toleranzgrenzen zu verschieben. Diese Fähigkeit ist bei der Therapie einiger allergischer Erkrankungen von großem Nutzen: Mit der allergenspezifischen Immuntherapie – kurz: SIT – gelingt es, die Toleranz des Immunsystems gegenüber allergieauslösenden Substanzen zu erhöhen. Das bedeutet, die überschießende Abwehrreaktion auf bestimmte Pollen, Hausstaubmilben oder Insektengift kann abgemildert oder sogar ganz verhindert werden.

  • Die spezifische Immuntherapie, auch als Hyposensibilisierung oder Allergie-Impfung bekannt, ist derzeit die einzige ursächliche Therapie gegen eine Allergie. Sie wirkt besonders effektiv gegen Insektengift, Pollen und Hausstaubmilben.

Ähnlich einer Impfung

Das Prinzip der spezifischen Immuntherapie ist mit einer Impfung vergleichbar. Deshalb wird diese Behandlung umgangssprachlich auch als Allergie- Impfung bezeichnet. Der Patient erhält über einen bestimmten Zeitraum regelmäßig eine genau festgelegte Dosis und Zubereitung jener Substanzen, die bei ihm eine allergische Reaktion auslösen. Durch die wiederholte Konfrontation soll sich das Immunsystem an diese Stoffe gewöhnen und lernen, dass sie ungefährlich sind.

Behandlungsablauf

Die häufigste Form der Immuntherapie ist die subkutane Immuntherapie (SCIT), bei der das Allergenpräparat unter die Haut gespritzt wird. In der ersten Phase der Behandlung erhält der Patient das Allergen wöchentlich in aufsteigender Dosierung, bis eine bestimmte Dosis erreicht ist. Diese Erhaltungsdosis wird anschließend etwa alle vier bis sechs Wochen verabreicht. Die Dauer der Behandlung variiert, in der Regel beträgt sie drei Jahre. Eine andere Variante ist die sublinguale Immuntherapie (SLIT). Hierbei werden die Allergenpräparate über die Mundschleimhaut aufgenommen, entweder in Form von Tropfen oder als Schmelztabletten, die einmal täglich unter die Zunge gelegt werden müssen

Verhaltensregeln nach der Injektion

  • Der Patient bleibt noch mindestens 30 Minuten unter medizinischer Kontrolle, damit auftretende Nebenreaktionen sofort bemerkt werden und gegebenenfalls schnell Hilfe geleistet werden kann.
    Größere Anstrengungen und Kreislaufbelastungen sollten mehrere Stunden nach der Injektion vermieden werden.
  • Kurze Zeit nach den Injektionen sollte der Patient auf Alkohol und üppige Mahlzeiten verzichten.
  • Medikamente sollten nur nach Absprache mit dem Arzt eingenommen werden.

Behandlungserfolg

Die spezifische Immuntherapie ist derzeit die einzige Allergietherapie, die nicht nur die Symptome lindert, sondern die allergische Reaktion beeinflusst und damit die Ursache behandelt. Viele Studien belegen die Wirksamkeit. Ein Großteil der Patienten hat anschließend weniger Beschwerden und benötigt seltener Medikamente. Insbesondere bei allergischem Schnupfen, ausgelöst durch Pollen und Hausstaub, sowie bei Allergien auf Insektengift zeigt die Spritzentherapie gute Ergebnisse. Bei Gräserpollenallergien wird eine Verminderung der Symptomatik und/oder des Medikamentenverbrauchs um mindestens 30 Prozent, bei Birkenpollenallergien um etwa 45 Prozent und bei Hausstaub um etwa 30 Prozent erreicht. Noch besser sind die Erfolgsquoten bei Insektengiftallergenen, insbesondere bei Wespengift. Hier beträgt die Wirksamkeit etwa 75 bis 95 Prozent. Bei Tierhaar- und Schimmelpilzallergie ist der Erfolg bislang nur durch wenige Studien belegt.

Pollenallergiker, die Spritzen fürchten, können auf die sublinguale Immuntherapie ausweichen, die ähnliche Erfolge zeigt. Für andere Allergenquellen wie Hausstaub, Tierhaar und Schimmel liegen noch keine ausreichenden und aussagekräftigen Studienergebnisse vor.

Für wen kommt die Therapie in Frage?

Ob eine spezifische Immuntherapie in Frage kommt oder nicht, kann nur ein allergologisch qualifizierter Facharzt entscheiden. Er wird zunächst eine Allergiediagnostik durchführen und ermitteln, welche Allergene für die Erkrankung verantwortlich sind. Hat sich für die diagnostizierte Allergie eine Immuntherapie bewährt und liegen keine sonstigen gesundheitlichen Risiken vor, werden die entsprechenden Allergenextrakte zusammengestellt.

Wichtig ist, dass die Patienten vor Beginn der Behandlung über den Ablauf und auch die möglichen unerwünschten Wirkungen aufgeklärt werden. Bei einigen Patienten kann es nach Verabreichung des Allergenextraktes zu einer allergischen Reaktion kommen, in sehr seltenen Fällen zu einem allergischen Schock mit Kreislaufversagen. Nach jeder Behandlung muss der Patient deshalb auffällige Veränderungen beobachten. Dazu gehören beispielsweise Juckreiz und Hautausschlag, Husten, Atemnot, mitunter aber auch Herzklopfen und Kreislaufprobleme. Zumeist weisen diese Reaktionen darauf hin, dass die Dosierung leicht herabgesetzt werden muss, auf jeden Fall müssen die Symptome medizinisch kontrolliert und abgeklärt werden.

Immuntherapie bei Kindern

  • Es gibt verschiedene Gründe, die dafür sprechen, eine spezifische SCIT bereits im Kindesalter durchzuführen. Das kindliche Immunsystem lässt sich besonders gut beeinflussen und die Chancen stehen gut, den gefürchteten Etagenwechsel der Allergie, also einen Wechsel vom allergischen Schnupfen zu einem allergischen Asthma, zu verhindern. Außerdem zeigen Studien, dass nach einer Hyposensibilisierung weniger neue Allergien entstehen.
  • Eine untere Altersgrenze für die Therapie lässt sich nicht generell festlegen: Bei einer potenziell lebensbedrohlichen Insektengiftallergie gilt die Therapieempfehlung prinzipiell altersunabhängig. Bei Inhalationsallergien raten Experten – allerdings mehr aus psychischen als aus immunologischen Gründen – dazu, eine Behandlung erst bei Kindern ab dem Schulalter durchzuführen.
Anton Wilder