Nahrungsergänzung in der Schwangerschaft: Sinnvoll oder überflüssig?

Für die meisten Nährstoffe gilt: Der Bedarf während der Schwangerschaft kann über eine gesunde, ausgewogene Ernährung gedeckt werden.

Welche Nahrungsergänzungsmittel sind während der Schwangerschaft empfehlenswert?

Nährstoffe, Vitamine, Mineralstoffe – in der Schwangerschaft ist der Bedarf an bestimmten Mikronährstoffen teilweise erhöht. Eine abwechslungsreiche Ernährung genügt nach dem Stand der Forschung in der Regel jedoch aus, um für ein gesundes Wachstum des ungeborenen Kindes zu sorgen.

Etwas anders sieht dies bei Folat und Jod sowie bei Eisen aus: Hier ist unter den heutigen Ernährungsbedingungen in Deutschland eine Mangelversorgung in der Schwangerschaft nicht auszuschließen. Deshalb empfehlen verschiedenste Fachgesellschaften eine Nahrungsergänzung mit Jod und Folsäure. Außerdem wird bei Eisenmangel dazu geraten, zusätzlich niedrig dosierte Eisenpräparate einzunehmen.

Befragung

Doch wie gehen Frauen mit Kinderwunsch und Schwangere mit diesen Empfehlungen um? Sind sie gut informiert und halten sie sich auch daran? Diesen Fragen sind Wissenschaftler des Lehrstuhls für Ernährungsmedizin der Technischen Universität München TUM nachgegangen.

„Viele schwangere Frauen und ihre Ärzte sind trotz der bestehenden Empfehlungen unsicher über einen sinnvollen Einsatz von Supplementen“, erklärt Professor Hans Hauner, Ernährungsmediziner an der TUM. In einer Befragung an drei Kliniken im Raum München untersuchte und bewertete sein Team die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln vor und während der Schwangerschaft. Dazu wurden insgesamt 522 Wöchnerinnen in den ersten drei Tagen nach der Entbindung strukturiert befragt – Deutsche wie Ausländerinnen verschiedenster Bildungsabschlüsse, Erstgebärende genauso wie Mütter, die

Schwangere brauchen mehr!

  • Während einer Schwangerschaft ist der Bedarf an bestimmten Nährstoffen wie Folsäure, Jod und Eisen besonders hoch.
  • Richtwerte für die Nährstoffzufuhr:

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97 Prozent der Befragten hatten in der Schwangerschaft mindestens ein Supplement eingenommen, fast zwei Drittel sogar schon vorher. Die Mengen variierten dabei in der Untersuchungsgruppe jedoch enorm: Die Folsäureeinnahme schwankte zwischen 0,2 und 5 mg pro Tag, bei Eisenpräparaten sogar zwischen 4 und 600 mg am Tag – das entspricht dem 150-fachen der abgefragten Minimaldosis. Alter, Bildungsgrad, ethnische Abstammung und Zahl der Schwangerschaften hatten dabei kaum Einfluss auf das generelle Supplementierungsverhalten der Frauen. Wohl aber eine gute Beratung: Über 40 Prozent der Befragten gaben ihren Gynäkologen als wichtigste Informationsquelle zum Thema Nahrungsergänzungsmittel

„Die Details stimmen nachdenklich – etwa bei der Einnahme von Folsäure, die Neuralrohrdefekte beim Ungeborenen verhindern kann“, so Professor Hans Hauner. Zwar hatten über 85 Prozent der befragten Frauen im ersten Schwangerschaftsdrittel Folsäure geschluckt. Allerdings war nur ein gutes Drittel der Empfehlung gefolgt, mindestens vier Wochen vor einer Schwangerschaft mit einer 0,4-mg-Supplementierung pro Tag zu beginnen.

Die Einnahme erfolgte also in vielen Fällen zu spät – dafür dann nicht selten zu hoch dosiert: Rund 8 Prozent der Frauen nahmen mit über 1 mg täglich deutlich mehr Folsäure auf als empfohlen. Professor Hauner: „Dies kann einen Vitamin-B12-Mangel kaschieren und sollte daher vermieden werden.“ Beim Jod können die TUMForscher hingegen Entwarnung geben: Das Spurenelement, das für die Gehirnreifung beim Ungeborenen wichtig ist, wird von einem Viertel der Befragten schon vor der Schwangerschaft eingenommen, währenddessen sogar von ünfteln.

Dafür scheint die Supplementierung mit Eisen – wichtig für die Sauerstoffversorgung des Fötus – viel zu hoch: „In der Untersuchungsgruppe nahmen rund zwei Drittel Eisenpräparate ein, dabei leidet nur etwa ein Drittel an einem Eisenmangel“, so Hauner. „Dieser unkritische Umgang mit Eisenpräparaten ist nicht nur unsinnig, sondern könnte dem Ungeborenen wegen der teilweise sehr hohen Dosen sogar schaden. Leider gibt es hierzu noch keine aussagekräftigen Studien.“

Außerdem zeigte sich, dass drei Viertel der befragten Schwangeren Magnesium substituierten und dass über 40 Prozent Omega- 3-Fettsäuren einnahmen. Beides ist nach dem derzeitigen Stand der Forschung überflüssig bzw. wenig belegt – Magnesium wird nur in begründeten Einzelfällen vom Arzt empfohlen, Omega- 3-Fettsäuren tragen vielleicht zur Entwicklung kognitiver Fähigkeiten bei.

  • Fragen Sie Ihre Frauenärztin oder Ihren Frauenarzt, ob und welche Nahrungsergänzungsmittel für Sie sinnvoll sind und welche Dosierung empfehlenswert ist.

„In Anbetracht der unklaren Forschungslage zu Nebenwirkungen von überdosierten Supplementen gilt in der Schwangerschaft bei bestimmten Nahrungsergänzungsmitteln womöglich: Weniger ist mehr“, fasst Hauner die Ergebnisse zusammen. „Folsäure und Jod sollten Frauen mit Kinderwunsch jedoch unbedingt in der empfohlenen Dosis ergänzen.“

Aufgrund der Befragungsergebnisse sollten in Zukunft vertiefende Studien nicht nur zum Nutzen, sondern auch zu den Risiken von Supplementen in der Schwangerschaft gemacht werden, fordert der TUM-Ernährungsmediziner.

Anton Wilder