Wenn Kinder Medikamente brauchen: Richtige Dosierung und Anwendung

Viele Medikamente können zu unerwünschten Nebenwirkungen führen. Das Risiko steigt, wenn die Dosierungs- und Einnahmevorschriften nicht genau eingehalten werden. Bei Kindern, die Medikamente einnehmen müssen, kann genau das zum Problem werden, denn die „richtige“ Dosis ist häufig nicht bekannt oder kann nur mit Tricks eingehalten werden.

Kinder kränkeln schon mal. Fieberzäpfchen, Hustensaft, Lutschpastillen, Augen- und Ohrentropfen sind dann die typische Medizin, die den kleinen Patienten dabei hilft, wieder flott auf die Beine zu kommen. Leider geht es in der Kinderheilkunde nicht immer nur darum, kleinere Infekte zu behandeln. Manche Kinder leiden unter schwerwiegenden Erkrankungen oder sind chronisch krank, so dass sie über einen längeren Zeitraum oder sogar dauerhaft stärkere Medikamente einnehmen müssen.

Viele von ihnen bekommen Arzneimittel, die eigentlich gar nicht für Kinder gemacht sind. Auch einige der vermeintlich harmlosen Medikamente gegen Kopf- und Gliederschmerzen, Fieber oder Erkältungskrankheiten, die man frei verkäuflich in Apotheken bekommen kann, sind nicht ohne Vorbehalt für Kinder geeignet.

Arzneimittel für Kinder

Pharmakokinetik bei Kindern

  • Der deutsche Kinderarzt Friedrich Hartmut Dost (* 1910; + 1985) gilt als Begründer der Pharmakokinetik. Pharmakokinetik beschreibt die Gesamtheit der Prozesse, denen ein Arzneistoff im Körper unterliegt. Das sind: die Freisetzung des Wirkstoffs, seine Aufnahme ins Blut, seine Verteilung im Körper, sein Um- und Abbau sowie seine Ausscheidung. Für die Wirkung eines Medikaments ist seine Pharmakokinetik von entscheidender Bedeutung.
  • Einfluss auf die Pharmakokinetik haben medikamentenspezifische Faktoren wie die Darreichungsund Anwendungsform. So spielt es durchaus eine Rolle, ob der Wirkstoff als Tabletten, Tropfen, Saft oder Zäpfchen verabreicht, über den Magen-Darm-Trakt, die Schleimhäute, die Haut oder inhalativ über die Lunge aufgenommen wird. Hinzu kommen biologische Eigenschaften des Patienten wie sein Alter, Geschlecht, Körpergewicht, seine Konstitution, die Durchblutung seiner Organe und Gewebe.
  • Kinder haben demnach eine andere Pharmakokinetik als Erwachsene. Darauf basiert die wesentliche Erkenntnis, dass Dosisempfehlungen für Arzneimittel nicht einfach von Erwachsenen auf Kinder „heruntergerechnet“ werden dürfen.

Der kindliche Organismus reagiert auf Arzneimittel in der Regel ganz anders als der eines Erwachsenen. Das hat vielerlei Gründe: Im Verhältnis zu ihrem Gewicht haben Kinder eine deutlich größere Körperoberfläche, größere Organe und einen höheren Anteil an Wasser als Erwachsene. Da jene Organe, über die Arzneimittel in den Körper gelangen, also der Magen-Darm-Trakt, Haut und Schleimhäute sowie die Lunge, noch nicht vollständig ausgereift sind, werden die Wirkstoffe ganz anders aufgenommen. Auch der kindliche Stoffwechsel ist den Reifungsprozessen unterworfen.

Hier spielen insbesondere Niere und Leber eine Rolle. Sie beeinflussen, abhängig von ihrem Entwicklungsstadium, wie lange die in den Medikamenten enthaltenen Wirkstoffe im Organismus des Kindes verweilen. All dies führt dazu, dass die Pharmakokinetik eines Medikaments bei Kindern ganz anders ausfällt als bei Erwachsenen (siehe Kasten Seite 17). Folglich muss mit abweichender Wirkung sowie einem anderen Nebenwirkungsprofil gerechnet werden. Zudem ist es erforderlich, eine der kindlichen Entwicklung angepasste Dosierung festzulegen.

Kinder und Jugendliche in klinischen Studien

  • Die Sicherheit der Studienteilnehmer hat immer oberste Priorität. So dürfen überhaupt nur Medikamente getestet werden, die sich zuvor in vielen Tests im Labor und mit Tieren bewährt haben. Außerdem muss jede Studie in Deutschland einzeln genehmigt werden. Zuständig dafür ist entweder das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) oder das Paul-Ehrlich-Institut (PEI). Beide Behörden unterstehen dem Gesundheitsministerium. Außerdem muss jeder Studie eine Ethik-Kommission zustimmen.
  • Vor den meisten Studien mit Kindern hat zusätzlich eine Kommission der Europäischen Arzneimittelagentur EMA geprüft und ausdrücklich festgestellt, dass mit großer Wahrscheinlichkeit das Arzneimittel bei Kindern einen Fortschritt für die Behandlung bringt.

Quelle: vfa. Die forschenden Pharma-Unternehmen

Bei vielen Medikamenten, die derzeit Kindern verordnet werden, fehlen jedoch wissenschaftliche Daten zu ihrer Wirkung bei Kindern unterschiedlicher Altersgruppen, zu den passenden Dosierungen sowie den besonderen Risiken und Nebenwirkungen.

Arzneimittelstudien bei Kindern

Schon seit mehreren Jahren gibt es Bestrebungen, die Zahl der klinischen Studien mit Kindern zu erhöhen, um verlässliche Informationen zur Wirksamkeit, Unbedenklichkeit und Dosierung von Medikamenten bei Kindern zu erhalten. Dies soll u. a. durch eine Europäische Richtlinie von 2007 gewährleistet werden. Gemäß dieser EU-Verordnung ist es für die Zulassung von Arzneimitteln erforderlich, ihre Eignung auch für Kinder und Jugendliche anhand von Studien nachzuweisen.

Kindgerechte Anwendung

Zu den Maßnahmen, die die Sicherheit einer Arzneimitteltherapie bei Kindern erhöhen sollen, gehört auch die Entwicklung kindgerechter Darreichungsformen. Tabletten, die geschluckt werden müssen, sind für kleine Kinder wenig geeignet. Gleiches gilt für bittere Säfte oder Tropfen, die womöglich sofort wieder ausgespuckt werden. Da Kinder aus den beschriebenen Gründen besonders sensibel auf Fehldosierungen reagieren, sind Medikamente vorteilhaft, die z. B. als Granulat in Pulverform oder als Tropfen in Säften aufgelöst verabreicht werden – und auch, was jeder wahrscheinlich aus der eigenen Kindheit kennt: Fieberzäpfchen.

Hinweise zur Anwendung von Medikamenten bei Kindern

  • Halten Sie Rücksprache mit der Kinderärztin/dem Kinderarzt, bevor Sie Ihrem Kind Medikamente geben. Auch vermeintlich harmlose Medikamente wie Kopfschmerztabletten oder ein Antiallergikum können bei kleinen Kindern schwere Nebenwirkungen auslösen.
  • Fragen Sie Ihre Kinderärztin/Ihren Kinderarzt, was bei der Dosierung zu beachten ist und wie Sie Ihrem Kind das Medikament am sichersten geben können.
  • Der unangenehme Geschmack mancher Medikamente kann überdeckt werden, wenn sie z. B. mit Saft oder Tee eingenommen werden. Milch oder Milchprodukte eignen sich dagegen in der Regel nicht, da hierdurch die Aufnahme und Wirkung bestimmter Wirkstoffe beeinflusst werden kann.
  • Auch Grapefruitsaft ist nicht geeignet, da er die Wirkung des Medikaments erheblich verstärken kann.
  • Ihr Kind sollte Tabletten oder Medikamente in flüssiger Form möglichst im Sitzen oder aufrecht einnehmen, damit es sich nicht verschluckt.
  • Achten Sie darauf, ob das Mittel vor, zu oder nach den Mahlzeiten eingenommen werden muss. Auch dies hat Einfluss auf Wirkung und Nebenwirkungen.
  • Zu guter Letzt: Bewahren Sie die Arzneimittel kindersicher auf. D. h., alle Medikamente müssen grundsätzlich immer außer Reichweite Ihres Kindes sein, um Vergiftungen vorzubeugen.
Anton Wilder